Page 14 - Tirol Kommunal 02 2020
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  LOBBYGRUPPE TRITT ENTSCHIEDEN GEGEN DISKRIMINIERUNGEN AUF
„EINE BEHINDERUNG IST
KEIN SCHADENSFALL“
 Marianne Hengl ist Behindertenaktivistin und bereits 30 Jahre
 Geschäftsführerin von RollOn Austria. Sie wurde mit einer
 Gelenksversteifung an allen vier Gliedmaßen geboren und weiß aus
 eigener Erfahrung, dass das Leben oft eine große Herausforderung
 darstellt. Sie hat mit RollOn Austria die stärkste Lobbygruppe für
 beeinträchtigte Menschen im Land aufgebaut. tirol.kommunal führte
 mit ihr ein Interview.
 RollOn Austria widmet sich in den nächsten Jahren ganz besonders den Familien mit ihren behinder- ten Kindern. Die Herausforde- rung mit einem behinderten Kind durchs Leben zu gehen, stellt viele Familien vor besondere Aufgaben.
Marianne Hengl: Unsere Erfahrun- gen in den letzten 30 Jahren haben gezeigt, dass sehr viele Familien in ihrer Gemeinde ganz oft alleine gelas- sen werden. Kürzlich hat ein Pfarrer uns zu verstehen gegeben, dass der behinderte Lukas nicht zur Erst- kommunion gehen kann, weil er ja sowieso nichts versteht. Eine verzwei- felte Mutter hat uns besucht und uns erzählt, dass ihr von einem Beamten vorgerechnet wurde, wie viel ihre bei- den behinderten Kinder dem Staate Österreich kosten. Wenn notwendige Hilfsmittel gebraucht werden, dann
müssen Menschen mit Behinderungen stets als Bittsteller auftreten ...
Das sind natürlich sehr traurige Geschichten und auch tiefe Verlet- zungen, die hier passiert sind. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Hengl: Wir wollen uns diese Dis- kriminierungen nicht mehr gefallen lassen und suchen den Weg zu Bür- germeister, Pfarrer, Behörde ... Mit unserer Öffentlichkeitsarbeit von Rol- lOn Austria, wie zum Beispiel auch mit diesem Zeitungsbericht, werden wir versuchen gemeinsam mit den betroffenen Familien, die Menschen zum Um- und Nachdenken anzure- gen.
Warum ist die Angst vor dem Schicksal Behinderung so groß? Hengl: Viele Eltern haben sich schon
vor der Geburt ein Bild von ihrem Kind gemacht, sich vorgestellt, wie es heranwächst und sich entwickelt, was vielleicht einmal aus ihm wird. Wenn das Kind dann eine Behinderung
hat, ist plötzlich alles anders. Zu den akuten Ängsten und Sorgen kommen nicht selten Gefühle von Ungewiss- heit und Unsicherheit, Trauer und Enttäuschung. Und sicher stellen sie sich viele Fragen: Warum gerade mein Kind? Wird es ein zufriedenes und glückliches Leben führen können? Wie viel Sorge und Belastung kom- men auf uns zu? Wer hilft uns? Die betroffenen Familien brauchen Zeit und ein gutes Auffangnetz in ihrer jeweiligen Gemeinde.
Wie kann ein Kind trotz seiner Behinderung seinen Weg gehen, seine Talente leben, sein Glück finden, und wie können wir Eltern
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TIROL.KOMMUNAL APRIL 2020














































































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